Künstliche Intelligenz -
Partner, Gegner, Teammitglied
Menschliche Verhandlungskompetenz in der hybriden Realität
Martin Heß, Dezember 2025
Der Wendepunkt der Verhandlungsführung
Verhandeln befindet sich an einem historischen Wendepunkt. Was über Jahrtausende hinweg eine genuin menschliche Disziplin war – geprägt von Empathie, Beziehungsgestaltung, Intuition und psychologischem Gespür – wird heute zunehmend durch künstliche Intelligenz geprägt.
Wir verhandeln nicht mehr ausschließlich mit Menschen.
Wir verhandeln mit Maschinen – in drei grundlegend unterschiedlichen Rollen:
Diese Verschiebung ist kein technisches Detail, sondern verändert die psychologischen, strategischen und ethischen Grundlagen des Verhandelns. Wer in dieser hybriden Realität erfolgreich agieren will, muss Verhandlungskompetenz neu verstehen.
I. Die Maschine als Verhandlungspartner
Kooperation ohne Beziehung
In vielen Anwendungsfeldern tritt KI heute als scheinbar kooperativer Verhandlungspartner auf:
im Einkauf, in der Vertragsoptimierung, bei Preisfindung oder in der Logistik.
Autonome Verhandlungsagenten analysieren große Datenmengen, simulieren Szenarien und optimieren Ergebnisse entlang klar definierter Zielgrößen. Forschung zu kooperativen KI-Systemen zeigt, dass Maschinen strategisch „kooperativ“ handeln können – etwa durch Konsistenz, Regeltreue oder berechenbare Zugeständnisse in wiederholten Interaktionen.
Diese Kooperation ist jedoch funktional, nicht sozial.
Maschinen:
-
haben keine Beziehungsebene
-
empfinden kein Vertrauen und kein Misstrauen
-
reagieren nicht auf Sympathie, Status oder moralische Appelle
Wer mit Maschinen verhandelt, muss Argumente übersetzen:
in Daten, Wirkungszusammenhänge, Szenarien und messbare Konsequenzen.
Emotionale Rhetorik verliert ihre Wirkung – strukturelle Klarheit gewinnt.
II. Die Maschine als Gegner
Negorealismus und der Wegfall sozialer Normen
Besonders deutlich wird der Umbruch, wenn Maschinen nicht im eigenen Auftrag handeln, sondern als gegnerische Verhandlungsakteure auftreten – etwa im Einkauf, bei Preisverhandlungen oder auf digitalen Marktplätzen.
Verhaltensökonomische und organisationspsychologische Studien zeigen ein stabiles Muster:
Sobald Menschen wissen, dass sie mit einer Maschine verhandeln,
-
sinkt die Bedeutung von Fairness
-
Reziprozität tritt in den Hintergrund
-
Verhandlungen werden härter, rationaler und kompromissloser
Dieses Phänomen wird als Negorealismus bezeichnet:
eine Rückkehr zur reinen Interessenlogik – ohne sozialen Kitt.
Maschinen verstärken diesen Effekt:
Sie verhandeln ausdauernd, emotionslos und ohne Ermüdung.
Das lädt menschliche Gegenüber dazu ein, ebenfalls rücksichtslos zu agieren. Eskalationen, Pattsituationen („Deadlocks“) und ökonomisch suboptimale Ergebnisse werden wahrscheinlicher.
III. Der Human-Premium-Effekt
Warum der Mensch strategisch aufgewertet wird
Paradoxerweise führt genau diese Entwicklung zu einer Aufwertung menschlicher Verhandlungskompetenz.
Je mehr Verhandlungen automatisiert werden, desto größer wird der Wert spezifisch menschlicher Fähigkeiten:
-
Deeskalation und Konfliktklärung
-
emotionale Resonanz
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kreative, nicht-lineare Lösungsfindung
-
ethisches und kontextsensibles Urteilen
In komplexen, konflikthaften oder strategisch bedeutsamen Verhandlungen wirkt der Mensch als soziale Bremse. Seine Präsenz aktiviert beim Gegenüber Empathie, Verantwortungsgefühl und Kooperationsbereitschaft – Mechanismen, die Maschinen nicht erzeugen können.
Human Negotiation Intelligence wird damit nicht obsolet, sondern zu einem Premiumfaktor.
IV. Die Maschine als Teammitglied
Der VerhandlungsNavigator
Die produktivste Rolle von KI liegt nicht im Ersetzen des Menschen, sondern in seiner gezielten Erweiterung.
Der VerhandlungsNavigator ist ein von Martin Heß entwickeltes Custom GPT, trainiert auf seinem Buch
Gut verhandelt – Strategien, Taktiken und Methoden erfolgreicher Verhandlungsführung (Wiley, 2023)
sowie auf der KI-gestützten Analyse der Dokumentation von über 700 Trainings, Seminaren und Beratungsprozessen.
Analysiert wurden u. a.:
-
typische Belastungen von Verhandlern nach Branche
-
häufig fehlende Werkzeuge in der Praxis
-
wiederkehrende Blockaden und Eskalationsmuster
-
Erfolgsfaktoren professioneller Verhandlungsführung
Der VerhandlungsNavigator ist:
Er dient als:
-
Analyse- und Reflexionsinstrument
-
strukturierende Denkfolie
-
Unterstützung bei Vorbereitung, Szenarienbildung und Entscheidungslogik
Die Entscheidung bleibt beim Menschen.
Der Verhandler übernimmt eine neue Rolle:
die des strategischen Entscheiders und AI-Supervisors.
V. Verantwortung, Recht und Steuerung
Unabhängig vom Automatisierungsgrad gilt:
Verantwortung und Haftung bleiben vollständig beim Menschen.
Rechtliche Rahmenwerke wie der EU AI Act betonen Transparenz, Nachvollziehbarkeit und menschliche Kontrolle. Gerade in Verhandlungen mit wirtschaftlicher oder ethischer Tragweite ist menschliche Urteilskraft kein Sicherheitsrisiko – sondern ein Stabilitätsfaktor.
Fazit: Hybrid verhandeln heißt bewusst entscheiden
Verhandeln mit Maschinen bedeutet nicht, selbst zur Maschine zu werden.
Es bedeutet, bewusst zu unterscheiden:
Die Zukunft der Verhandlung ist hybrid.
Und sie gehört den Menschen, die gelernt haben, Maschinen souverän zu führen –
statt sich von ihnen führen zu lassen.
martin.hess@step-online.de
Literatur & Quellen
Bücher und Schulungsmaterialien
-
Heß, Martin (2023):
Gut verhandelt – Strategien, Taktiken und Methoden erfolgreicher Verhandlungsführung.
Wiley-Verlag, München.
-
Heß, Martin (2012):
NeuroSales – Verkaufen ohne Manipulation. Systemische Verkaufspsychologie.
S.T.E.P. – Systemisches Training & Coaching.
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Heß, Martin (2025):
TNU_Verhandeln_2025_V.7 (Teilnehmerunterlagen).
S.T.E.P. Training & Coaching.
Wissenschaftliche Artikel und Studien
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Journal of Eastern Europe Research in Business and Economics, Vol. 2025.
IBIMA Publishing.
https://ibimapublishing.com/articles/JEERBE/2025/419851/
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Fachartikel und Branchenberichte
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